Was ist der Mensch?

Msgr. DDDr. Dr.h.c.mult. Michael Heinrich Weninger, Botschafter a.D., war fast neun Jahre römisch-katholischer Geistlicher an der vatikanischen Kurie und vorher langjähriger österreichischer Botschafter. Noch während seiner sehr erfolgreichen Laufbahn als Diplomat ist Michael Weninger in den geistlichen Stand getreten und ist somit der erste Botschafter in der Geschichte Österreichs, der zum Priester geweiht wurde. Er war unter anderem erster österreichischer Botschafter sowohl in Kiew als auch in Belgrad, also in den damals neu entstandenen Staaten Ukraine und Serbien. Von 2001 bis 2007 diente er als erster Österreicher als Politischer Berater der Präsidenten der Europäischen Kommission Romano Prodi und Jose Manuel Barroso, zuständig für den Dialog mit den Religionen, Kirchen und Weltanschauungen. Zudem war er Mitglied in der Ethical Working Group der Europäischen Weltraumagentur (ESA). Papst Benedikt XVI. berief Michael Weninger zum 1. November 2012, wieder als ersten Österreicher, in den Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog.

Christlich gesprochen und mit kurzen Strichen dargelegt: Gott schuf den Menschen nach seinem Abbild (Genesis 1,26a–27 und Genesis 2,7) und hat ihn nur wenig geringer gemacht als Gott selbst (Psalm 8,6). Aus dieser Gottabbildlichkeit des Menschen erwächst seine Menschenwürde, die wieder dessen Menschenrechte begründet. Als ein Ergebnis der europäischen Geistesgeschichte wurde auf dieser Grundlage der Katalog der geltenden Menschenrechte definiert, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde (rechtlich allerdings nicht bindend), und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (für die EU und ihre Organe bindend; für die Mitgliedsstaaten ist sie dies ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union), ihren Niederschlag gefunden haben, um nur diese beiden prägenden Beispiele zu nennen.

Was bedeutet nun die Gottabbildlichkeit des Menschen im technischen Zeitalter? Auch hier hat das Christentum eine Antwort: Der Mensch ist Mitschöpfer an der Schöpfung. Und: Der Mensch soll sich die Schöpfung »untertan« machen (Genesis 1,28). Allerdings nicht als Usurpator, indem sich das Geschöpf Mensch an die Stelle seines Schöpfers setzt und dann folglich willkürlich in die Schöpfung eingreift.

Wann immer sich der Mensch in Selbstherrlichkeit versucht hat, Gott als Schöpfer zu entthronen, ist dies mit der Folge der Katastrophe für ihn und die Welt einhergegangen.

Sieht sich der Mensch als Geschöpf mit der Aufgabe betraut, Mitschöpfer an der Schöpfung zu sein, aber eben als Mitschöpfer, dann wird er entsprechend der Gesetzmäßigkeit der Schöpfung selbst kreativ tätig werden und nicht in Überheblichkeit in die Gesetze der geschaffenen Natur gegen ihre Gesetzlichkeit eingreifen. Mitschöpfer an der Schöpfung zu sein, heißt dann, richtig verstanden, Gott als den Schöpfer schlechthin anzuerkennen und gemäß seinem Willen und entsprechend der geschaffenen und dem Menschen vorausliegenden, diesem aber zur Verfügung überantworteten Gesetzmäßigkeiten einzugreifen. Biblisch gesprochen:

Des Menschen Herrschaft über die Schöpfung gipfelt in der Sorge um die Bewahrung der Schöpfung insgesamt als seine Lebensgrundlage und in der kreativen Teilhabe am schöpferischen Wirken Gottes.

Der Mensch ist solcherart, in voller Freiheit übrigens, rückgebunden an sich als Geschöpf und solcherart an den ihn vorgängig geschaffen habenden Schöpfergott.

Wie ist die alte Weisheit nun zu verstehen, nach welcher der Mensch das Maß aller Dinge sei? Diese kühne Behauptung geht bekanntlich auf den griechischen Philosophen Protagoras zurück und hat weitreichende Interpretationen ausgelöst. Die Exegese dieses Theorems oszilliert in der Geistesgeschichte des Abendlandes zwischen zwei Extremen: der Mensch als Maß aller Dinge, so wie es ihm von Gott als seinem Schöpfer gewollt in sein Wesen eingepflanzt ist, eben als MIT-Schöpfer, oder als Maßstab für ein Eingreifen in die Immanenz nach eigenem Gutdünken des Menschen, der alles seinem eigenen Willen unterwirft und losgelöst von Gott in selbsternannter Autonomie sich solcherart sogar anschickt, die Veränderung seines eigenen Wesens in Angriff zu nehmen, als autonomer Eigen-Schöpfer, der in der Folge sogar Gott agnostisch umformen oder atheistisch erledigen will.

Dieses Seins-Verständnis des Menschen ist ein Merkmal der Neuzeit, und um mit Martin Heidegger zu sprechen, des Menschen der »Seins-Vergessenheit«.

Der Mensch, im betäubenden Rausch des von ihm gewirkten technischen Fortschritts, setzt sich selbst an die Stelle des transzendenten, das heißt dem Menschen vorgängigen und diesen konstituierenden Seins. Findet sich der Mensch bei Protagoras als das Maß aller Dinge schöpferisch vorgängig vor, so kreiert der neuzeitliche Mensch nun autonom diese Stellung in der Immanenz, und ausschließlich innerhalb dieser, selbst. Der »Übermensch«, frei nach Friedrich Nietzsche, ist Wirklichkeit geworden. Diese Selbstermächtigung des Menschen sieht ihn dergestalt nicht mehr in einem System der Zusammengehörigkeit und Abhängigkeit von der Gesetzmäßigkeit einer von Gott weise geplanten und ins Werk gesetzten Schöpfung verortet, der er als Abbild Gottes und Mitschöpfer an der Schöpfung ohnehin in einer vorrangigen und privilegierten Weise angehört, sondern als ein alles Seiende, und dieses entsprechend seiner autonomen Selbstherrlichkeit, beherrschende Akteur gegenüber.

Der neuzeitliche Mensch mit seinem »Willen zur Macht«, wie ihn Arthur Schopenhauer verstanden hat, anerkennt nicht mehr, dass seine schöpferische Macht ihm wesensgemäß von »außen«, seinem Schöpfer, zugeeignet wurde, sondern geht davon aus, dass sie nunmehr in der Selbstermächtigung des Menschen ihre Begründung erfährt.

Mit der Folge, dass jegliches Maß menschlichen Handelns nicht mehr durch Gott als das allem vorgängigen und dieses begründeten Seins alles Seienden anerkannt, sondern durch den Menschen in seiner Selbstherrlichkeit als von ihm selbst als absolut gesetzt wird. Es gibt damit kein dem Menschen vorgängiges und diesen in seinem Machtanspruch ermächtigendes und solcherart diesen auch zur Ver-Antwortung ziehendes Sein mehr, welches man christlich gesprochen als Schöpfergott bezeichnet hat, sondern ausschließlich den Menschen als die sich selbst absolut setzende und auf sich selbst bezogene Macht.

Gerade an diesem Befund wird deutlich, dass der christliche Offenbarungsglaube und die daraus resultierende Schöpfungstheologie zur Überlebensstrategie für den Menschen und das Humanum rettenden Antwort wird.

Eine neue Herausforderung erwächst im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und der im wissenschaftlichen Evolutionsprozess nach vorne hin offenen Möglichkeiten. Ist der Mensch unterwegs auf dem Wege des technischen Fortschritts, eine Intelligenz zu schaffen, die über diesen hinauswächst und diese »Intelligenz« in die Lage versetzen könnte, den Menschen als deren Urheber und Erst-Schöpfer zu usurpieren? Den Menschen wohlgemerkt, Gott ist schon längst eliminiert. Die potenziellen Möglichkeiten der technischen Vernunft ziehen keine Determinante ein!

Vielleicht jedoch bietet die philosophische und christliche Sicht vom Wesen des Menschen das ihr eigene Korrelativ zur neuen technischen Vernunft unseres Zeitalters.